Im IT-Bereich ist die Wirtschaft stark arbeitsteilig strukturiert. Warum es durch teils undurchsichtige Vertragsgestaltungen im Drei- oder sogar Vier-Personenverhältnis häufig zum Streit über bestehende Vergütungs- und sonstige Verhaltenspflichten kommt, erläutert Rechtsanwältin Dr. Ina Becker.
Der Praxisfall
Eine Vermittlerfirma schloss eine asymmetrische Vereinbarung mit einem weiteren Zwischenvermittler, dem Endkunden im Telekommunikationsbereich und dem IT-Experten. Hierdurch wälzte sie das Problem abverlangter und erbrachter Mehrstunden einfach auf letzteren ab. Wie war dies möglich?
Generell ist es Auftraggebern aufgrund einer gezielten Gestaltung von Kettenverträgen leichter möglich, sich ihren vertraglichen Grundpflichten zur Zahlung eines Entgelts zu entziehen.
In einem Vier-Personen-Verhältnis will jeder der drei beteiligten Auftraggeber naturgemäß so wenig für beauftragte und geleistete Tätigkeitsstunden zahlen, wie möglich.
Der beauftragte Freiberufler wusste im konkreten Fall nicht, dass im Verhältnis von Zwischenvermittler zum Endkunden eine budgetäre Stundenbeschränkung bestand, erbrachte jedoch gutgläubig und engagiert mehr Leistungsstunden. Die Vermittlerfirma, d. h. sein unmittelbarer Vertragspartner, vertröstete ihn immer wieder mündlich sowie durch E-Mails, ihm würden alle Mehrstunden vergütet.
Kurz bevor er seine ergänzende vertragliche Absicherung erreicht hatte, kündigte ihm der Vermittler fristlos wegen angeblich unvorhergesehenen Wegfalls des Projektauftrags. Für den IT-Experten stellte sich nun das Problem, wie er einen Nachweis seiner tatsächlich geleisteten, abverlangten Dienste führen sollte, da der Endkunde eine Abzeichnung der Mehrstundennachweise verweigerte.
Er musste seine Ansprüche in einem langwierigen, bereits seit über einem Jahr rechtshängigen Gerichtsverfahren geltend machen, da die Vermittlerfirma jegliche Mehrstundenvergütung verweigerte. Der Ausgang ist bis heute offen.
Die Zahlungs- und Schadensersatzansprüche hängen teils auch von Zeugenaussagen der leitenden Mitarbeiter des Endkunden ab. Was dies für den Prozess angesichts eines mutmaßlich kollusiven Zusammenwirkens von Vermittler und Endkunden bedeuten kann, mag sich der geneigte Leser selbst vorstellen.
Verhaltenstipps
Ein IT-Freiberufler sollte stets auf seine umfassende, korrekte vertragliche Absicherung achten. Da die teils hochkomplex gestalteten Verträge im IT-Bereich zahlreiche, für den juristischen Laien schlicht nicht durchschaubare Tücken aufweisen, sollten die Kosten für eine anwaltliche Vorabprüfung des Vertrags nicht gescheut werden. Der IT-Experte sollte sich keineswegs zum Vertragsschluss drängen lassen und zeitliche Überschneidungen von Projektbeginn und vertraglichen Verhandlungen meiden.
Prüfung durch professionellen Rechtsbeistand
Sobald im Rahmen des Projekts mehr Tätigkeitsstunden abgefordert werden, als von der vertraglich vorgesehenen Vergütung abgedeckt ist, sollte der Freiberufler umgehend auf eine Vertragsergänzung bestehen. Er darf sich keinesfalls mit mündlichen, später nicht beweisbaren, Zusicherungen abspeisen lassen. Ebenso wenig geeignet, da nicht der Schriftform genügend, sind z. B. E-Mails, die noch dazu nicht einmal vom vertretungsberechtigten Organ der Vermittlerfirma stammen.
Über die Möglichkeit, von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch zu machen, sollte sich der Freiberufler in einer Krisensituation ebenso anwaltlich beraten lassen, wie im Fall einer Kündigung. Einer rechtswidrigen Kündigung muss unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, widersprochen oder ggf. sogar eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erklärt werden. Dies ist allein nach sorgfältiger Prüfung durch einen professionellen Rechtsbeistand möglich.
Zwischen Vermittler und IT-Experten besteht nicht nur eine erhebliche Informationsasymmetrie bezüglich der juristischen und wirtschaftlichen Prämissen eines Projekts, sondern auch ein großes Machtungleichgewicht der Ressourcen. Oft kann der Vermittler erfolgreich darauf setzen, dass der Freiberufler weder über die notwendige Zeit, Energie noch die Mittel verfügt, um einen zeit- und kostenintensiven Gerichtsprozess zu führen. Da sich ein redlicher Auftragnehmer das involvierte Ausmaß krimineller Energie seitens eines Auftraggebers oft nicht vorstellen kann, geht die Zermürbungstaktik der unredlichen Vermittler in der Praxis nicht selten auf.
Mit Hilfe eines frühzeitig beauftragten, erfahrenen Rechtsanwalts kann das worst-case-Szenario eines jahrelangen Gerichtsverfahrens mit ungewissem Ausgang vermieden werden.